ESSSTÖRUNGEN

Das ständige gedankliche und emotionale Beschäftigen mit dem Thema „Essen“ ist ein wesentliches Merkmal von Essstörungen. Ein auffälliges Essverhalten alleine muss hingegen noch keine Essstörung bedeuten. 

Erst, wenn Essen ein so zentrales Thema ist, dass sich darum alle Gedanken, Gefühle und Handlungen drehen, kann eine Essstörung vorliegen. In diesem Fall ist das Essen oft mit negativen Gefühlen wie Scham, Schuld, Ekel, Ängsten, Frustration oder Unzufriedenheit besetzt.

Zu den bekanntesten und häufigsten Essstörungen zählen die Anorexia nervosa und Bulimia nervosa.

Anorexia nervosa

Die Anorexia nervosa ist von einem deutlichen Untergewicht gekennzeichnet: Das Gewicht der Betroffenen liegt mindestens 15 % unter dem für das Alter und Geschlecht zu erwartendem Gewicht (Quetelet-Index für Kinder). Ab dem 16. Lebensjahr kann auch der Body-Mass-Index hinzugezogen werden und gilt als kritisch, wenn er unter 17,5 liegt.

Die aus dem Untergewicht resultierenden Unterversorgungen haben oft Folgeschäden wie Hormonstörungen (z.B. Schilddrüsenhormone, Geschlechtshormone), welche bei Frauen zum Ausbleiben der Regelblutung (Amenorrhoe) und bei Männern zu Libidoverlust sowie Potenzstörungen führen können. Bei diesem Störungsbild geht außerdem eine verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers einher: Betroffene sehen sich trotz ihres abgemagerten Zustands als „zu dick“. Diese verzerrte Selbstwahrnehmung führt häufig zu einer ausgeprägten Angst vor Gewichtszunahme bzw. vor dem Dickwerden, die panikartige Ausmaße annehmen kann (Gewichtsphobie), selbst wenn nur minimale (z.B. 50 g) Gewichtssteigerungen festgestellt werden.

Die Anorexia nervosa kann in zwei Unterformen vorliegen, die sich im Kern darin unterscheiden, ob aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme bzw. zur Verhinderung einer Gewichtszunahme ergriffen werden oder nicht.
 

  • Bei dem restriktiven Typ wird die Gewichtsreduktion ausschließlich über Hungern erreicht und es werden keine weiteren aktiven Maßnahmen zur Gewichtsreduktion ergriffen.
  • Bei dem Binge-Purging-Typ hingegen versuchen Betroffene, ihr Gewicht durch aktive Maßnahmen, wie z.B. Erbrechen, den Gebrauch durch Abführmittel oder exzessives Sporttreiben weiter zu reduzieren[1]. Häufig treten bei diesem Typus auch Essanfälle auf.

Je nach Schwere und Dauer der Erkrankung können die körperlichen Folgen durch die Mangel- bzw. Unterversorgung gravierend sein (Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand, Osteoporose, Muskel- und Gehirnatrophie u.v.m.). Die Anorexie weist eine Sterberate von ca. 10 % - 15 % auf und ist damit die psychische Störung mit der höchsten Mortalität[2].

Bulimia nervosa

Die Bulimia nervosa ist vor allem durch regelmäßige Anfälle von Heißhunger und Essanfällen gekennzeichnet, verbunden mit der subjektiven Wahrnehmung, die Kontrolle über das eigene Essverhalten verloren zu haben und ebenfalls einer übertriebenen Beschäftigung mit dem Körpergewicht. Der subjektive Kontrollverlust führt meist zu starken Gefühlen von Schuld, Scham oder Angst, die mit einem hohen Leidensdruck einhergehen. Um einer Gewichtszunahme vorzubeugen, werden unmittelbar nach einem Essanfall gegenregulierende Maßnahmen wie Erbrechen, zeitweilige Hungerperioden, Missbrauch von Abführmitteln oder Appetitzüglern oder exzessives Sporttreiben eingesetzt. Das Gewicht ist hier oft unauffällig, durch wiederholtes Erbrechen kann es jedoch zu Elektrolytstörungen und anderen körperlichen Komplikationen wie Probleme mit den Zähnen und der Speiseröhre führen. Auch bei der Bulimie erleben sich die Betroffenen als „zu fett“, mit einer sich aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden und einer starken Beschäftigung mit dem Essen.

Zudem kann Erbrechen sowohl bei anorektischen, als auch bei bulimischen Patienten auftreten und häufig überschneiden sich die beiden Störungsbilder Anorexia und Bulimia nervosa auch. So lassen sich bei vielen bulimischen Patienten auch anorektische Phasen in der Vorgeschichte finden. Problematisches Essverhalten kann aber auch im Rahmen anderer Störungen auftreten z.B. zur Anspannungs- oder Stimmungsregulation.

Mal einen Essanfall zu haben ergibt aber noch nicht das Krankheitsbild einer Bulimie und kann bei jedem gesunden Menschen vorkommen. Man kann aber erst dann von einer Bulimie ausgehen, wenn diese Essanfälle regelmäßig über einen Zeitraum von 3 Monaten mindestens zweimal pro Woche bestehen.

Essstörungen sind häufig sehr hartnäckige Erkrankungen, die frühzeitig behandelt werden sollten und häufig eine längere spezialisierte ambulante oder stationäre Psychotherapie benötigen. Als erste spezifische Anlaufstelle kann hierbei die Beratungsstelle Therapienetz Essstörungen dienen, wo Informationen und Kontakte zu spezialisierten Psychotherapeuten und Kliniken vermittelt werden.

Sportspezifik

Es wird davon ausgegangen, dass Leistungssportler, bei denen es einen Zusammenhang zwischen Leistung und Gewicht gibt, gefährdeter sind eine Essstörung zu entwickeln als Nichtsportler[3]. Die Häufigkeit von Essstörungen über alle Sportarten hinweg ist mit einer Prävalenz von 4,9 % allerdings vergleichbar zur Allgemeinbevölkerung[4].

Anders sieht das bei den sogenannten Risikosportarten aus. Zu diesen zählen solche, bei denen das Gewicht, die Ästhetik oder die Ausdauer entscheidende Kriterien sind z.B. Skispringen, Eiskunstlauf, Gewichtsklasse-Sportarten, Marathonlauf, Ballett und Turnen. Hier ist, je nach Sportart, die Häufigkeit von Essstörungen mit 15 - 78 % im Vergleich zur Häufigkeit von Essstörungen in der Allgemeinbevölkerung (2 - 6 %) deutlich erhöht[5].

Insbesondere bei Sportarten, in denen das Körpergewicht und die Ästhetik eine wichtige Rolle spielen, lastet auf den Athleten also enormer Druck das eigene Körpergewicht anzupassen. Dies wird angestrebt, um entweder die Leistungsfähigkeit zu steigern, eine Gewichtsklasse zu erreichen oder einer ästhetischen Norm zu entsprechen. Auch fehlender Raum für Selbstbestimmtheit und Autonomie, Perfektionismus, eine sehr hohe Identifikation mit dem sportlichen Erfolg, negative Emotionalität, niedriger Selbstwert, die Internalisierung eines strengen Schönheitsideals, Körperunzufriedenheit sowie eine hoher Leistungs- und Gewichtsreduktionsdruck bereits in jungen Jahren begünstigen die Entwicklung von gestörtem Essverhalten, das eine Vorstufe darstellen, oder sich in einer Essstörung manifestieren kann. Die Anorexia athletica und Adipositas athletica beschreiben subklinische Störungen des Essverhaltens im Sport, die die klinischen Diagnosen noch nicht erfüllen, aber ein erhöhtes Risiko beinhalten[6].

Bei der Anorexia athletica achten die Betroffenen vorrangig aufgrund von sportlichen Gründen sehr auf ihr Gewicht. Beispielsweise um eine bestimmte Gewichtsklasse zu erreichen/halten, um mit weniger Gewicht weiter, höher oder schneller zu sein als die Konkurrenz, um beweglicher zu sein oder spektakulärere Hebefiguren durchführen zu können. In Abgrenzung zur Anorexia nervosa besteht außerhalb der Wettkampfsaison meist eine normale Essstruktur und auch die Selbsteinschätzung und die Wahrnehmung des eigenen Körpers sind in der Regel noch normal[7].

Neben den körperlichen Schäden liegt die Hauptgefahr der Anorexia athletica und der Adipositas athletica im schleichenden Übergang zu einer manifesten Essstörung.

Als Female Athlete Triad wird zudem der Zusammenhang zwischen gestörtem Essverhalten, Amenorrhoe und Osteoporose bezeichnet. Die Triade wurde definiert als die Kombination von Essstörungen und unregelmäßigen Menstruationszyklen, die schließlich zu einer Abnahme von körpereigenem Östrogen und anderen Hormonen führt.

Die zugrundeliegende Ursache der Triade ist ein Energiemangel durch Unterernährung: ein Missverhältnis zwischen Energiezufuhr und Energieverbrauch. Zur Aufrechterhaltung der Homöostase, also dem Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen sowie für Alltagsbelastungen, Wachstum und sportliche Aktivitäten fehlt es schlicht an Energie. Daraus können sich erhebliche Folgen für die Gesundheit ergeben, denn der durch das Ausbleiben der Regelblutung verursachte Östrogenmangel und die durch das gestörte Essverhalten verursachte Mangelernährung kann Osteoporose zu Folge haben, welche z.B. häufig zu Knochenbrüchen führen kann[8].

Da auch Männer von einem Energiemangel durch Unterversorgung betroffen sein können, wurde der Begriff Female Athlete Triad von dem umfassenderen Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S) abgelöst. Das Syndrom bezieht sich auf beeinträchtigte körperliche Funktionen, einschließlich Stoffwechselrate, Menstruationsfunktion, Knochengesundheit, Immunsystem, Proteinsynhtese und der kardiovaskulären Gesundheit. Das zugrundeliegende Problem von RED-S ist eine unzureichende Energiezufuhr zur Unterstützung einer Reihe von Körperfunktionen, die für eine optimale Gesundheit und Leistungsfähigkeit erforderlich sind (vgl. Mountjoy et al., 2018)[9].

Eine gute Übersicht für Athleten, Trainer, Betreuer und Eltern bietet die Broschüre des Bundesinstituts für Sportwissenschaft „Essstörungen im Leistungssport“, die unter diesem Link kostenlos zur Verfügung steht.

Außerdem haben wir euch noch einige Infos zu sportspezifischen Ursachen, Präventionsansätzen und Alarmsignalen sowie Tipps für Trainer und Angehörige zusammengefasst. 

Entstehung, Prävention & Alarmsignale

Entstehung, Prävention & Alarmsignale von gestörtem Essverhalten und Essstörungen im Leistungssport
 

  • Die Ursachen von gestörtem Essverhalten und Essstörungen sind komplex und vielschichtig und selten lässt sich „die eine Ursache“ identifizieren. Meist geht es nicht nur um das Essen, sondern auch um den Bezug zum eigenen Körper, dem Wunsch nach sportlichem Erfolg, Autonomieentwicklung, Selbstwirksamkeit und Kompetenzerleben junger Sportler sowie dem impliziten Wunsch nach Aufmerksamkeit. Gestörtes Essverhalten steht daher meist auch mit persönlichen und sozialen Faktoren zusammen.

 

  • Sollte eine Gewichtsreduktion tatsächlich objektiv für die sportliche Leistungsentwicklung „notwendig“ sein, sollten Maßnahmen zur Gewichtsreduktion in der Saisonvorbereitung langfristig mit eingeplant und gut unterstützt werden. Dabei ist die Ausbildung der Trainer, Betreuer und Sportler sowie ein angemessener Umgang mit dem Thema Gewicht und Ernährung im Trainingsalltag sehr wichtig. Gute Erfahrungen haben wir damit gemacht, wenn optimale Gewichtsbereiche für den Saisonverlauf interdisziplinär zwischen Trainern, Sportmedizinern und dem Sportler besprochen, geplant und die Umsetzung z.B. auch mit Hilfe von Ernährungsberatern kontinuierlich unterstützt wird17. Auch eine Einbeziehung der Eltern kann hier hilfreich sein, sodass die Sportler mit der Ernährungsumstellung auch zuhause unterstützt werden können.

 

  • Erste Hinweise für gestörtes Essverhalten können ein auffälliger Gewichtsverlust oder starke Gewichtsschwankungen, Unregelmäßigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, verstärktes Konsumieren von Diätprodukten, sehr langsames oder kontrolliertes Essen, das bewusste Verzichten auf bestimmte Nahrungsmittel, eine erhöhte Beschäftigung mit dem Körpergewicht und verstärkte Ängste vor einer Gewichtszunahme sowie sehr häufiges Wiegen sein.
     
  • Besondere Vorsicht ist auch geboten, wenn Betroffene immer weniger oder nur noch gesunde Kost zu sich nehmen Mahlzeiten weglassen, unregelmäßig essen und Nahrungsmittel kategorisch in gut oder schlecht einteilen. Rote Warnlampen sind das rigorose Verweigern von Nahrung, die Verleugnung von Hunger, absichtliches Erbrechen oder die Verwendung von Abführmitteln.
Hinweise für Trainer und Angehörige
  • Versuchen Sie negative Äußerungen zum Körpergewicht, Schuldzuweisungen und harsche Kritik zu vermeiden und sportlichen Erfolg nicht allein im Zusammenhang zum Körpergewicht zu stellen.

 

  • Sollte eine Gewichtsreduktion tatsächlich notwendig sein, ist es wichtig nicht nur Ziele vorzugeben, sondern gemeinsam mit dem Sportler und gegebenenfalls zusammen mit den Sportmedizinern, Ernährungsberatern, einen gemeinsamen Weg zu erarbeiten, diesen langfristig in den Saisonverlauf zu integrieren und dem Sportler Know-how zur gesunden Gewichtsreduktion zur Verfügung zu stellen.

 

  • Sie sollten keine rigiden Verbote beim Essen aufstellen und niemanden zum Essen zwingen, sondern fundiert begleiten z.B. auch mit einer Ernährungsberatung.

 

  • Fördern Sie die Regenerationsfähigkeit, Selbstfürsorge, ein stabiles Selbstvertrauen und eine mehrdimensionale Persönlichkeitsentwicklung ihrer Athleten auch außerhalb des Sportes, das stärkt ihre Athleten.

 

  • Denken Sie auch immer daran, dass auch Sie ein Vorbild sind hinsichtlich der Ernährung und dem eignen Schlankheitsbild.

 

  • Lassen Sie sich bei Unsicherheiten fachlich beraten und ermutigen Sie auch Betroffene Hilfe anzunehmen.

 

  • Vorsicht bei Körperschemastörungen! Es handelt sich hier um eine tatsächliche Wahrnehmungsverzerrung, bei der die Betroffenen ihre Körpermaße deutlich überschätzen und sich zudem meist auf negativ eingeschätzte Körperteile konzentrieren. Hier sind viel Verständnis und gegebenenfalls auch Hilfen zur Wahrnehmungskorrektur wichtig.
     
  • Da Körperschemastörungen auch unabhängig vom Gewicht oder dem Therapiestand der Essstörung bestehen bleiben können und einen Risikofaktor für einen Rückfall oder eine Chronifizierung darstellen, ist eine therapeutische Unterstützung auf jeden Fall anzuraten.

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Quellenangaben

[1] Dilling, H., & Freyberger, H. (2013). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen: nach dem Pocket Guide von JE Cooper. Bern: Huber.

[2] Lebenstedt, M., Bußmann, G., & Platen, P. (2004). Ess-Störungen im Leistungssport. Ein Leitfaden für Athlet/innen, Trainer/innen, Eltern und Betreuer/innen. Bonn: Bundesinstitut für Sportwissenschaft.

[3] Wanke, E., Petruschke, A., & Korsten-Reck, U. (2007). Standards der Sportmedizin Essstörungen. DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN.

[4] Schaal, K., Tafflet, M., Nassif, H., Thibault, V., Pichard, C., Alcotte, M., ... & Toussaint, J. F. (2011). Psychological balance in high level athletes: gender-based differences and sport-specific patterns.

[5] List, S. (2010). Essstörungen im Sport/Leistungssport (Doctoral dissertation, Uniwien).

[6] Stice, E. (2002). Risk and maintanance factors for eating pathology: A meta-analysis review. Psychological Bulletin.

[7] Ewers, S.M., Halioua, R., Jäger, M., Seifritz, E., & Claussen M.C. (2017). Sportpsychiatrie und -psychotherapie – gestörtes Essverhalten und Essstörungen im Leistungssport. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin.

[8] Roth, D., Meyer Egli, C., Kriemler, S., et al. (2000). Female Athlete Triad - Diagnose, Therapie und Prävention von gestörtem Essverhalten, Amenorrhoe und Ostoporose. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie.

[9] Mountjoy, M., Sundgot-Borgen, J., Burke, L., Ackerman, K. E., Blauwet, C., Constantini, N., ... & Budgett, R. (2018). International Olympic Committee (IOC) consensus statement on relative energy deficiency in sport (RED-S): 2018 update. International journal of sport nutrition and exercise metabolism.