ADHS

Viele Menschen kennen das Gefühl, sich schlecht konzentrieren zu können, impulsiv zu handeln, Dinge aufzuschieben, gedanklich abzuschweifen oder unruhig zu sein – Häufig wird dann im Alltag schnell von „ADHS“ gesprochen – doch was bedeutet die Diagnose eigentlich wirklich?

Was ist ADHS?

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurobiologisch verankerte Störung, die bereits im Kindesalter beginnt und häufig auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Sie gehört nach internationaler Klassifikation zu den psychischen Störungen (ICD-10: F90) und äußert sich durch ein typisches Symptomdreieck.

 

  • Unaufmerksamkeit (z. B. Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, Ablenkbarkeit)
  • Hyperaktivität (z. B. innere Unruhe, ständiger Bewegungsdrang, motorische Überaktivität)
  • Impulsivität (z. B. vorschnelles Handeln, geringe Frustrationstoleranz, Unterbrechungen)

 

Diese Symptome treten meist schon im Kindesalter auf, können sich im Jugend- und Erwachsenenalter aber in veränderter Form fortsetzen. So wird aus dem „zappeligen“ Verhalten oft eine innere Getriebenheit; statt körperlicher Unruhe steht dann häufig eine schnelle Reizüberflutung oder emotionale Dysregulation im Vordergrund. In der Diagnostik unterscheidet man drei Subtypen:

 

  • den vorwiegend unaufmerksamen Typ („ADS“)
  • den vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Typ
  • den kombinierten Typ, bei dem alle drei Hauptsymptome auftreten

 

Besonders der unaufmerksame Subtyp wird häufig übersehen, da er oft nicht mit äußerlich störendem Verhalten einhergeht, was gerade im Schul- oder Sportkontext zur Fehldeutung führt. Hinzu kommt: ADHS tritt nicht selten gemeinsam mit anderen psychischen Erkrankungen auf, etwa mit Angststörungen, Depressionen oder Substanzgebrauchsstörungen. Auch eine Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen wie der Borderline-Störung ist möglich – insbesondere bei Erwachsenen mit ADHS, bei denen Studien teils hohe Überschneidungen zeigen (Matthies & Philipsen, 2014). Diese Komorbiditäten können die Symptomatik überlagern und die Diagnose zusätzlich erschweren (Simon et al., 2009).

Neurobiologische Grundlagen

ADHS zählt zu den sogenannten neuroentwicklungsbedingten Störungen. Die Ursachen sind multifaktoriell und beinhalten genetische, neurobiologische und psychosoziale Einflüsse. Neuropsychologisch lassen sich vor allem Beeinträchtigungen in den exekutiven Funktionen nachweisen – also in den Prozessen, die für die Steuerung von Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Planung, Impulskontrolle und Emotionen zuständig sind (Diamond, 2013). Neurowissenschaftliche Studien zeigen funktionelle Veränderungen in Hirnregionen wie dem präfrontalen Cortex, dem Striatum und dem Zerebellum. Der Stoffwechsel der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin ist gestört. Diese Systeme sind u. a. verantwortlich für Belohnungsverarbeitung, Reizfilterung und Motivation – zentrale Prozesse, die bei ADHS aus dem Gleichgewicht geraten.

Verlauf 

Bei 4,8% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland wurden ADHS diagnostiziert. Bei Jungen wurden die Erkrankung mehr als 4mal häufiger festgestellt (Schlackt et al. 2007). Der Verlauf der Störung ist individuell sehr unterschiedlich. Während sich bei einem Teil der Betroffenen die Symptome mit dem Älterwerden verschwinden oder verringern, persistieren sie bei etwa 50–65% bis ins Erwachsenenalter – oft mit veränderter Ausprägung (Kessler et al., 2006; Ginsberg et al., 2014). Statt körperlicher Unruhe stehen dann eher Konzentrationsprobleme, emotionale Instabilität oder innere Anspannung im Vordergrund. Das kann im Erwachsenenalter zu Beeinträchtigungen in Alltag, Beruf und Beziehungen führen und das Risiko für psychische Zusatzbelastungen erhöhen – insbesondere, wenn Betroffene die Ursache ihrer Symptome häufig nicht kennen.

Diagnostik und Abgrenzung

Die Diagnostik einer ADHS erfolgt nach internationalen Kriterien (ICD-10 / DSM-5) und beinhaltet eine umfassende klinisch-psychologische und psychiatrische Anamnese. Notwendige Kriterien sind: Die Symptome müssen bereits in der Kindheit vorgelegen haben und sich über verschiedene Lebensbereiche erstrecken. Gerade weil viele Symptome unspezifisch sind oder sich mit anderen psychischen Erkrankungen überschneiden können, ist eine differentialdiagnostisch fundierte Einordnung durch Psychiater oder Psychotherapeuten notwendig. Eine zu schnelle Selbstdiagnose – etwa durch Online-Tests oder Social Media – kann zwar Orientierung geben, aber auch dazu führen, dass Einzelsymptome vorschnell mit dem Label ADHS versehen werden. Eine professionelle, ganzheitliche Abklärung ist daher besonders im Sportkontext essenziell.

Sportspezifik

Viele Athleten mit ADHS erleben den Sport als entlastenden Ausgleich. Bewegung, klare Abläufe und soziale Gefüge und eine feste Tages- und Wochenstruktur sind hilfreich. Sportliche Aktivität kann helfen, Anspannung zu regulieren, Reize zu verarbeiten und die Stimmung zu stabilisieren (Ho et al., 2022; Gemeinsam ADHS begegnen, n.d.). Gleichzeitig zeigt sich ADHS im Leistungssport jedoch auch als Belastungsfaktor – besonders dort, wo hohe Anforderungen an Konzentration, soziale Anpassung und emotionale Kontrolle gestellt werden (Medical Tribune, 2023), wie etwa der Vereinbarung von Leistungssport und einer Ausbildung. Manchmal wird ADHS erst erkannt, wenn zum Beispiel die duale Karriere ein hohes Maß an Selbstorganisation und Strukturierung verlangt. Leidensdruck kann auch entstehen wenn in der Mannschaft Konflikte auf Grund der Impulsivität oder ständigen Unpünktlichkeit eines Spieler entstehen. Auch eine geringe Frustrationstoleranz wird im Trainingssetting fordernd wo eine permanente Beurteilung durch den Trainer und Trainingsergebnisse erfolgt. Studien legen nahe, dass Athleten mit ADHS im Leistungssport überdurchschnittlich häufig vertreten sind – bei Jugendlichen liegt der Anteil bei etwa 4–8 % (Berg & Claussen, 2020). Impulsivität und ein hoher Bewegungsdrang können in reaktiven oder intensiven Sportarten Vorteile bieten. Gleichzeitig können jedoch Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung, emotionale Dysregulation und geringe Frustrationstoleranz die konstant hohe Leistungsfähigkeit erschweren(Medical Tribune, 2023). Für ein konkretes Fallbeispiel aus dem Sport empfehlen wir dir folgende Story von uns.

Therapie

Die wirksamste Behandlung beruht auf einem multimodalen Therapieansatz, bestehend aus:

 

  • Psychoedukation
  • Psychotherapie (insbesondere kognitive Verhaltenstherapie)
  • Medikamentöse Therapie

   

Wichtig ist es ein Basisverständnis über ADHS zu erwerben mit Grundwissen über die Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten und praktische Tipps für den Alltag. Die Psychotherapie kann ein weiterer hilfreicher Baustein der Therapie sein, insbesondere Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie. Bei medikamentöser Behandlung kommen vor allem Stimulanzien wie Methylphenidat, Dexamphetamin oder Lisdexamphetamin zum Einsatz. Sie verändern die Konzentration von Dopamin und Noradrenalin. Auch Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin oder Guanfacin werden eingesetzt.

Eine medikamentöse Therapie kann helfen die ADHS-Symptome deutlich zu reduzieren. Gleichzeitig können jedoch Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Veränderung des Appetits, Puls- oder Blutdruckanstieg auftreten. Es kann auch sein, dass Sportler von ihrer Impulsivität in ihrer Sportart profitieren und sich dann weniger leistungsfähig fühlen. Es ist wichtig in regelmäßigen Abständen EKG, Blutdruck und das Labor zu kontrollieren, Sport und regelmäßige körperliche Aktivität ist nicht nur ein sinnvoller Ausgleich, sondern auch eine wirkungsvolle therapeutische Ergänzung bei ADHS.

Studien legen nahe: Sport kann die exekutiven Funktionen verbessern, insbesondere die Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Emotionsregulation (Hegemann et al., 2022). Vor allem Ausdauersportarten wie Laufen, Schwimmen oder Radfahren können verbesserten die Selbststeuerung verbessern, die Stimmung fördern und das Stressniveau senken. Neben den neurobiologischen Effekten (z. B. vermehrte Ausschüttung von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin) bringt Sport auch strukturelle Vorteile:
Er bietet klare Regeln, ein direktes Feedback-System, Routinen und messbare Fortschritte. Zudem wirkt Sport oft stabilisierend auf das Selbstwertgefühl und kann als Ventil für die Hyperaktivität dienen. 

Auch der Leistungssport kann eine wichtige stabilisierende Funktion haben – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen sind unterstützend. Sport kann eine Ressource sein, aber durch die hohen Anforderungen, die zum Beispiel durch eine zusätzliche Ausbildung noch mehr steigen, zur Überforderung führen. Deshalb ist es hier besonders wichtig, dies individuell gut zu planen und sich
ggf. professionelle Unterstützung zu suchen. Weitere Infos wie Sport bei ADHS gezielt unterstützen kann, findest du z. B. hier.

Dopingrelevanz im Leistungssport

Für Athleten mit ADHS im Leistungssport ist besonders wichtig zu beachten: Methylphenidat, Dexamphetamin und Lisdexamphetamin stehen auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und sind im Wettkampf verboten, da sie eine leistungssteigernde Wirkung haben können. Eine Einnahme ist nur mit einer medizinischen Ausnahmegenehmigung (Therapeutic Use Exemption, TUE) erlaubt. Im Gegensatz dazu ist Atomoxetin sowohl innerhalb als auch außerhalb von Wettkämpfen erlaubt.

Wie beantrage ich eine TUE?

Eine TUE kann beantragt werden:

 

  • für Mitglieder nationaler Testpools: über die NADA
  • für Mitglieder internationaler Testpools: über den jeweiligen
    internationalen Fachverband
  • für nationale Wettkämpfe ohne Testpoolzugehörigkeit: mit einem ärztlichen Attest eines Facharztes für (Kinder- und Jugend-)Psychiatrie und Psychotherapie.

 

Weitere Informationen, die Antragskriterien sowie alle notwendigen Formulare
findest du unter:

🔗 www.nada.de/medizin/therapeutische-ausnahmegenehmigung
🔗 www.nadamed.de (Medikamentendatenbank)

Hinweise für Trainer und Angehörige

Angehörige und Trainer spielen eine zentrale Rolle im Umgang mit ADHS-betroffenen Sportlern. Dabei kommt es weniger auf therapeutisches Fachwissen an, sondern auf eine sensibilisierte, unterstützende Haltung. Folgende Punkte können helfen:

 

  • Unaufmerksamkeit, Probleme im Selbstmanagement oder impulsives Verhalten nicht als Faulheit oder Provokation werten, sondern als mögliche Symptome verstehen
  • Positive Eigenschaften betonen: Kreativität, Energie, Durchsetzungsvermögen
  • Struktur bieten, klare Regeln kommunizieren, Aufgaben in kleinere Schritte unterteilen
  • Feedback zeitnah, direkt und wohlwollend geben
  • Frustrationstoleranz fördern, Rückschläge einordnen helfen
  • Körperliche Aktivierung bewusst nutzen, z. B. durch aktive Pausen oder bewegungsorientiertes Aufwärmen

  

Auch Eltern und Angehörige profitieren oft davon, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, da ADHS nicht nur die betroffene Person, sondern auch das soziale Umfeld stark beeinflussen kann.

Fazit

ADHS ist eine komplexe Erkrankung, deren Diagnostik sorgfältig durchgeführt werden sollte. Es stehen wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Im Leistungssport können Betroffene von der Struktur, Bewegung und unmittelbarem Feedback profitieren. Gleichzeitig braucht es meist zusätzliche therapeutische/ärztliche Unterstützung und den Support des Umfelds.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl an Netzwerken, Initiativen und Informationsplattformen, die Betroffene sowie ihr Umfeld unterstützen. Zu den wichtigsten gehören das ADHS-Infoportal mit regionalen Versorgungsnetzwerken und praxisnahen Hilfestellungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, der ADHS Deutschland e. V. als gemeinnütziger Verein mit Beratungsangeboten und Selbsthilfegruppen sowie die Plattform gemeinsam-adhs-begegnen.de, die niedrigschwellige Infos, Austausch und Impulse für ein Leben mit ADHS bietet. Die Diagnose schafft Verständnis und oft Erleichterung hinsichtlich der Beschwerden und mit einer Behandlung lassen sich nicht nur akut Symptome verringern sondern auch der Langzeitverlauf positiv beeinflussen.

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